Isolator-Metall-Übergang im Quantenlimit

Paderborner Physiker der Arbeitsgruppe „Theoretische Materialphysik“ von Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt haben gemeinsam mit Duisburger Kollegen ein aufwändiges Experiment durchgeführt und numerisch simuliert, um zu klären, wie schnell Phasenübergänge ablaufen können, und ob ihre Geschwindigkeit von der Geometrie und Dimensionalität des verwendeten Materials abhängt. Die Ergebnisse eröffnen neue Anwendungsperspektiven von Phasenübergängen in smarten Materialien oder Nanostrukturen, z.B. für ultraschnelle Detektoren und optoelektronische Schalter. Die Ergebnisse der gemeinsamen Forschungsarbeit aus Paderborn und Duisburg wurden in der interdisziplinären Fachzeitschrift Nature (<link http: dx.doi.org nature21432>dx.doi.org/10.1038/nature21432) veröffentlicht.

Phasenübergänge sind Änderungen der Eigenschaften von Materialien, die beispielsweise bei Temperatur- und Druckänderungen auftreten. Dazu gehören unter anderem der Fest-Flüssig-Übergang von Eis zu Wasser oder wenn Materialien von einem Isolator zu einem elektrischen Leiter werden. Was genau passiert dabei auf atomarer Ebene? Beim Laserschmelzen von Kristallen wie z.B. Wismut scheinen die atomaren Strukturänderungen der Oberfläche denen im Inneren der Probe zeitverzögert zu folgen. Vollziehen sich also Phasenübergänge in niederdimensionalen Systemen langsamer als im Volumen? Die Physiker präparierten, um diese Frage beantworten zu können, atomarskalige Indium-Nanodrähte – genauer gesagt Leiterbahnen mit einer Breite von vier Atomen und einer Höhe von einem Atom – auf einer Siliziumoberfläche. Diese Drähte sind bei Raumtemperatur metallisch. Werden sie jedoch unter -150 °C abgekühlt, ordnen sich die Indium-Atome um, die Elektronen frieren in einer sogenannten Ladungsdichtewelle ein und die Drähte werden nichtmetallisch. Die optische Anregung der tiefgekühlten Indium-Drähte mittels eines Laserpulses schmilzt die elektronische Ladungsdichtewelle und ändert die atomare Struktur wieder zur metallischen Raumtemperaturphase.

Der Duisburger Physiker Dr. Tim Frigge konnte mit zeitaufgelöster Elektronenbeugung nachweisen, dass sich dieser Phasenübergang bei geeigneter optischer Anregung in weniger als 350 Femtosekunden vollzieht. Das ist nur ein Bruchteil der Schwingungsdauer charakteristischer Eigenschwingungen der Atome in den Drähten und Größenordnungen schneller als die thermische Erwärmung der Probe. Zur Verdeutlichung: Eine Femtosekunde ist das Millionstel einer Milliardstel Sekunde, in 350 Femtosekunden legt Licht eine Strecke von lediglich einem Zehntel Millimeter zurück. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang vom Phasenübergang im Quantenlimit – schneller kann dieser nicht ablaufen.

Doch was ist die Ursache dieses schnellen Phasenübergangs und welche Rolle spielt dabei die Verankerung der Drähte auf der Siliziumoberfläche? Zur Beantwortung dieser Fragen simulierte Doktorand M. Sc. Andreas Lücke den Phasenübergang im Computer. Die quantenmechanische Berechnung vieler hundert optisch angeregter Elektronen im komplexen Zusammenspiel mit der Dynamik der Indium- und Siliziumatome erfordert Supercomputer-Ressourcen, die durch das Paderborn Center for Parallel Computing und das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart zur Verfügung gestellt wurden. Die Rechnungen zeigen, dass der ultraschnelle Phasenübergang durch eine optisch induzierte Umverteilung der Elektronen in genau den chemischen Bindungen ausgelöst wird, die besonders stark durch spezielle Eigenschwingungen der Indium-Drähte, sogenannte Peierls-Moden, deformiert werden. Diese Moden beschreiben die strukturelle Änderung der Drähte beim Einfrieren und Schmelzen der Ladungsdichtewelle. Durch die sehr effektive Kopplung der Peierls-Moden an Schwingungen des Siliziumsubstrats wird dann bereits während des Phasenübergangs überschüssige kinetische Energie abgeführt, so dass nur genau ein einziger wohldefinierter Isolator-Metall-Übergang, letztlich ein ultraschneller Schaltvorgang im Bereich aperiodischer Dämpfung stattfindet. Die Verankerung der Drähte auf dem Substrat ist zum einen verantwortlich für die Kohärenz der Atombewegungen während des Phasenübergangs, zum anderen ermöglicht sie die gezielte Modifikation seiner Geschwindigkeit. Genau daran, d.h. der gezielte Einstellung der Geschwindigkeit, wird in der Arbeitsgruppe Schmidt gegenwärtig gearbeitet, um Einsatzfelder in der Photochemie zu erschließen.   

Foto (Department Physik): v.l.n.r. Dr. Uwe Gerstmann, Jun.-Prof. Simone Sanna, M. Sc. Andreas Lücke und Prof. Dr. Wolf-Gero Schmidt
Die Abbildung zeigt schematisch die atomaren Indium-Ketten auf dem Siliziumsubstrat. Durch Anregung mit einem Laserpuls kommt es zum Bindungsbruch, der mittels Elektronenbeugung nachgewiesenen wird.