De­fi­ni­ti­on von Ni­ve­au­stu­fen fach­be­zo­ge­ner Kom­pe­tenz an­ge­hen­der Phy­sik­lehr­kräf­te

Ausgangslage und Zielsetzung

Ein zentrales Ziel von Physik- und Physik-Lehramts-Studiengängen an deutschen Hochschulen ist der Erwerb belastbaren, inhaltlich und konzeptionell durchdrungenen, verknüpften und vielfältig anwendbaren Fachwissens. Dabei gelingt es häufig aber nicht, Unterschiede im Vorwissen der Studierenden auszugleichen. Dies hängt stark mit einem Mangel an systematischen Konzepten zur adaptiven Förderung fachbezogener Kompetenzen.

Um solche Förderkonzepte empirisch begründet entwickeln zu können, ist eine valide, präzise und differenzierte Diagnose von Kompetenzständen und -veränderungen nötig. Typische Testinstrumente für den Hochschulbereich beschränken sich hier auf die Rückmeldung einzelner numerischer Testscores. Hilfreicher wäre jedoch die Zuordnung von Studierenden zu sogenannten Kompetenzniveaus, also Gruppen von Probanden vergleichbarer Fähigkeit, die jeweils in Form von Can-Do-Statements kriterial beschrieben werden.

Projektziel ist, aufbauend auf einem Kompetenzstrukturmodell ein Testinstrument zu entwickeln, mit dessen Hilfe eine solche Niveauzuordnung vorgenommen werden kann.

Projektbeschreibung

Im Projekt wurde zunächst ein Strukturmodell des physikalischen Fachwissens entwickelt, welches in Form eines Testinstruments operationalisiert wurde. Die damit in einer deutschlandweiten Erhebung an 16 Hochschulen gesammelten Daten konnten zur Beschreibung von Kompetenzniveaus herangezogen werden.

Kompetenzstrukturmodell

Im Rahmen des Projektes wird physikalisches Fachwissen im Inhaltsbereich Mechanik in drei Fach-Stufen gegliedert (Woitkowski, 2015, S. 123 ff): Schulwissen meint Anforderung, die ein durchschnittlicher Schüler am Ende der Sekundarstufe I erfüllen können sollte. Unter universitärem Wissen wird vollständig von der Schule losgelöstes Wissen verstanden. Die Doppelte Diskontinuität dazwischen überbrückt das vertiefte Wissen, welches sich durch die Breite und Tiefe der Verknüpfung des Wissens auszeichnet und somit als Grundlage für den Aufbau fachdidaktischen Wissens und unterrichtlichen Handlungsrepertoires von Lehrkräften gesehen werden kann. Auf einer weiteren Achse wurden Anforderungen nach hierarchischer Komplexität in vier Niveaus gegliedert, die dann Grundlage für das zu erstellende Niveaumodell sein können.

Testinstrument

Das Strukturmodell wurde in einem schriftlichen Testinstrument operationalisiert. Dazu wurden insgesamt 183 offene und geschlossene Items im Rahmen eines Entscheidungsbaum-gestützten Expertenratings den Matrixzellen des Modells zugeordnet. Im Rahmen eines partially balanced incomplete Blockdesigns (pBIBD) entstanden 10 Testhefte mit jeweils etwa 30 % der Items. Die Testheftverteilung ist von vornherein so gestaltet, dass zu jedem Testheft mindestens 2 vollständig disjunkte Testhefte vorliegen, so dass z. B. bei einer Längsschnittstudie Erinnerungseffekte vermieden werden können.

Das Testinstrument wurde an N = 100 Studierenden pilotiert, zur Erhebung bei N = 537 Studierenden der Physik in Fach- und Lehramtsstudiengängen an 16 deutschen Hochschulen eingesetzt und jeweils mit einem ein- sowie mehrdimensionalen Rasch-Modell ausgewertet. Test-Items und Item-Fit sind bei Woitkowski (2015) ungekürzt veröffentlicht.

Niveaumodell

Die mittels Rasch-Analyse gewonnenen Item-Schwierigkeiten ermöglichen es, die Schwierigkeit mit der Item-Komplexität in Zusammenhang zu bringen. Somit ist es möglich, rechnerisch ein typisches Item einer jeweiligen Komplexität zu bestimmen und die Probanden danach zu Unterscheiden, welches dieser typischen Items sie hinreichend sicher lösen können. Das Verfahren ist bei Woitkowski und Riese (2017) für die Fachwissens-Gesamtskala dokumentiert und diskutiert.

Für die Fachwissens-Gesamtskala ergeben sich z. B. folgende Niveaubeschreibungen:

Niveau FW-i (32% der Versuchspersonen)
Personen auf diesem Niveau können Anforderungen bewältigen, die die Kenntnis und Wiedergabe von unverknüpften Fakten des physikalischen Fachwissens wie Merksätzen, Formeln oder Definitionen oder Verweise auf einfache Tatsachen des Inhaltsbereichs Mechanik ohne weitere Arbeit damit erfordern. Dazu gehören auch Anforderungen, deren Lösungen gut ausgebildeten Studenten üblicherweise auswendig bekannt sind

Niveau FW-ii (27% der Versuchspersonen)

Personen auf diesem Niveau können Anforderungen bewältigen, die die Kombination weniger Fakten des physikalischen Fachwissens im Inhaltsbereich Mechanik ohne Rechnung erfordern. Dies kann die Nutzung eines Diagramms oder die Beschreibung von Prozessen oder Vorher-Nachher-Zusammenhängen in Form von Worten oder Skizzen sein, bei denen keine weitere Begründung nötig ist

Niveau FW-iii (29% der Versuchspersonen)

Personen auf diesem Niveau können Anforderungen bewältigen, die einschrittige Begründungen oder Rechnungen im Bereich des physikalischen Fachwissens im Inhaltsbereich Mechanik verlangen. Diese umfassen Rechnungen, die das Auswählen einer passenden Formel, Umstellen und Einsetzen von Zahlenwerten oder etwa das Aufstellen eines Kräftegleichgewichts oder einer Energie- oder Impulsbilanz erfordern. An nicht-rechnerischen Begründungen werden lineare Begründungen der Form „Weil x, darum y“ oder die Berücksichtigung maximal eines wesentlichen Einflussfaktors beherrscht

Niveau FW-iv (4% der Versuchspersonen)

Personen auf diesem Niveau können Anforderungen bewältigen, die die gleichzeitige Operation mit mehreren Einflussfaktoren oder physikalischen Zusammenhängen oder den Umgang mit komplexen Begründungslinien im Inhaltsbereich Mechanik erfordern. Die geforderte Argumentation geht dabei über eine einfache Kette von „Weil x, darum y“-Argumenten hinaus. Mathematisch werden Rechnungen beherrscht, bei denen mindestens zwei eigenständige Gleichungen kombiniert (z. B. umgestellt und ineinander eingesetzt) werden müssen

Ergebnisse

Das Projekt lieferte ein Strukturmodell physikalischen Fachwissens, welche viele Überlegungen vorangegangener Arbeiten aufnahm und weiter verarbeitete. Insbesondere ist hier noch die erstmalig im deutschsprachigen Raum beschriebene Kompetenzstruktur von Fach-Physikern zu nennen (Woitkowski, 2017).

Bezüglich des Fachwissens der Stichprobe wurde im Rahmen des Niveaumodells eine Identifikation bestimmter Niveaus als wünschenswerte Zielkriterien einer universitären Ausbildung möglich. Hier lässt sich feststellen dass eine Gruppe von etwa 30 % der Probanden auch nach angemessener Studiendauer diese Niveaus nicht erreicht.

Das Testinstrument und Niveaumodell wurde beim Nachfolgeprojekt KEMΦ (Kompetenzentwicklung Physik in der Studieneingangsphase) zur Erhebung eines echten Längsschnitts in den ersten beiden Studiensemestern eingesetzt.

Literatur (Auswahl)

Woitkowski, D. (2015). Fachliches Wissen Physik in der Hochschulausbildung: Konzeptionalisierung, Messung, Niveaubildung. Berlin: Logos.

Woitkowski, D. (2017). Studieneingangsprofile in Fach- und Lehramts-Studiengängen Physik: Eine kontrastierende Analyse auf Basis eines Kompetenzstrukturmodells für Fach-Physiker. Physik und Didaktik in Schule und Hochschule, 16(1), 43-56.

Woitkowski, D. & Riese, J. (2017). Kriterienorientierte Konstruktion eines Kompetenzniveaumodells im physikalischen Fachwissen. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 23(1), 1-14.