PSΦ: For­schungs­pro­gramm zur Stu­dienein­gangs­pha­se im Phy­sik­stu­di­um

1. Ausgangslage

Für ein erfolgreiches Studium müssen Studierende beim Übergang von Schule zu Hochschule im Rahmen der akademischen Identitätsbildung in der Studieneingangsphase einen komplexen Lernprozess bewältigen, der mit dem Abgleich der Anforderungen auf drei Ebenen mit den individuellen Studienvoraussetzungen (Neugebauer, Heublein & Daniel, 2019) verbunden ist (siehe Abb. 1). Sie werden mit komplexeren Inhalten und neuen Arbeitsweisen konfrontiert (Fachliche Ebene), die mit Hilfe der in der Schule erworbenen selbstregulativen Fähigkeiten (Metakognitionsebene) oftmals nur mit großen Schwierigkeiten bewältigt werden können. Dieser Prozess wird durch die Integration in die Peer-Group und die jeweilige Fachkultur (Sozialisationsebene) noch komplexer. Hier findet ein Übergangsprozess statt, der die ganze Identität der betreffenden Personen miteinbezieht und prägt (Rabe, 2019).

Als Reaktion darauf ist mit dem Lernzentrum Physiktreff in der 1. und 2. Förderphase des Qualitätspakts Lehre des BMBFs ein offenes Betreuungs- und Unterstützungsangebot für Studierende im Department Physik der Universität Paderborn implementiert worden (Reinhold, Haak & Bauer, 2018). Ziel war zunächst, die Studierenden in der Studieneingangsphase bei der Bewältigung der mit der akademischen Identitätsbildung verbundenen Prozesse zu begleiten und zu unterstützen, um die Wahrscheinlichkeit eines Studienabbruchs zu minimieren (Haak, 2017). Er hat sich zu einer zentralen Beratungsinstitution für die Studierenden und Lehrenden des Departments Physik weiterentwickelt (Bauer et al., 2019).

Abbildung 1: Elemente der akademischen Identitätsbildung (Bauer et al., 2019).

2. Forschungs- und Entwicklungsprogramm PSΦ

Ziel des Projektes Paderborner Studieneingangsphase Physik (PSΦ; Bauer et al., 2019) ist die evidenzbasierte Gestaltung einer Studieneingangsphase aus einem Guss, in der die verschiedenen Angebote nicht wie bisher unverbunden nebeneinanderstehen, sondern aufeinander bezogen und schrittweise aufeinander aufbauend gedacht und durchgeführt werden, um die Studierenden bei der akademischen Identitätsbildung zu unterstützen (siehe Abb. 2). Dabei werden ein sinnvoll unterstützter Übergang in die sozialen Strukturen und die Fachkultur der Universitätsphysik ebenso wie ein über alle curricularen Lehrveranstaltungen koordinierter Kompetenzaufbau mit sinnvollem Pacing und passenden extracurricularen Unterstützungsmaßnahmen angestrebt.

In PSΦ werden die verschiedenen Evidenzen unterschiedlicher bestehender Forschungsprojekte für die evidenzbasierte Weiterentwicklung einer Studieneingangsphase aus einem Guss sowie deren multiperspektivischer Evaluation genutzt und weiterentwickelt (siehe Abb. 2).

3. Strukturprinzipien der Maßnahmenbündel

Bei der Umgestaltung der Studieneingangsphase sollen nach Möglichkeit in den Veranstaltungen alle drei Anforderungsebenen der Studieneingangsphase (siehe Abb. 1) in vergleichbarer Weise adressiert

Abb. 2: Überblick über das Forschungs- und Entwicklungsprogramm PSΦ.

werden. In einem ersten Schritt sind die Veranstaltungen des ersten Semesters überarbeitet und evaluiert worden. Dazu gehören der physikalisch-mathematischen Vorkurs vor offiziellem Beginn des Semesters sowie die Experimentalphysik A.

3.1 Fachliche Ebene

Auf fachlicher Ebene wird das Lehr-Lernformat Übung überarbeitet. Traditionell werden Vorlesungen in naturwissenschaftlichen Fächern durch eine Übung ergänzt, in der die Studierenden die Inhalte der Vorlesungen auf konkrete Problemstellungen übertragen und diese diskutieren können.

Es wird das Format Präsenzübung eingeführt, um eine aktivere Auseinandersetzung der Studierenden mit fachinhaltlichen Problemstellungen zu begünstigen. In Präsenzübungen bearbeiten Studierende Aufgaben vor Ort und werden dabei vom Übungsleiter nach Bedarf unterstützt. Auf die unterschiedlichen Fähigkeitsniveaus der Studierenden wird reagiert, indem die Aufgaben nach einem Komplexitätsmodell (Bernholt, Parchmann & Commons, 2009) gestaltet werden.

3.2 Metakognitionsebene

Auf der Ebene der Metakognition werden die Studierenden mit diversen Maßnahmen dabei unterstützt, sich stabile Arbeits- und Lernweisen anzueignen, z.B.:

Im physikalisch-mathematischen Vorkurs erhalten sie eine Einführung im Bereich des selbstregulierten Lernens (Mandl & Geier, 2004). Ihnen wird neben den Grundsätzen des Prinzips aufgezeigt, welcher Grad an Selbstständigkeit im Studium von ihnen im Vergleich zu Schule erwartet wird, und es werden unterschiedliche Kontrollmechanismen für die Diagnose des eigenen Lernstandes, wie das Einschätzen eigener Fähigkeiten und das Ableiten von Zielsetzungen für den weiteren Lernprozess eingeübt. In der Übung zur Experimentalphysik A werden sie weiter darin unterstützt, indem sie Probeklausuren schreiben und an bestimmten Zeitpunkten des Semesters zur Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten (Kriterien zur Selbsteinschätzung werden vorgegeben) aufgefordert werden.

Darüber hinaus werden die Studierenden systematisch an das Zusammenarbeiten mit ihren Kommilitonen herangeführt und unterstützt. So ist der Lernraum des Physiktreffs mit Gruppenarbeitsplätzen ausgestattet. Dort sind weiterhin Peer-Tutoren anwesend, um die Studierenden nach dem Prinzip der minimalen Hilfe bei der Bearbeitung der Aufgaben zu unterstützen.

3.3 Sozialisationsebene

Die Studierenden werden von der ersten Woche des Semesters an bei der Enkulturation in die Fachkultur der Physik unterstützt. Mit ihnen wird im Rahmen der Veranstaltungswoche Start ins Studium erarbeitet, was es bedeutet, „Physikerin“ bzw. „Physiker“ zu sein, welche Struktur das Studium besitzt und wie sie auf ihre spätere berufliche Tätigkeit vorbereitet werden. Weiterhin finden Laborführungen statt, in denen die Studierenden einen Einblick in die Tätigkeit als Physiker erhalten und sich mit den Wissenschaftlern austauschen können.

4. Fazit

In Bezug auf die überarbeitete Studieneingangsphase hat sich ein einheitliches Überarbeitungskonzept für alle Veranstaltungen sowohl in Bezug auf den zeitlichen Aufwand als auch für die Vergleichbarkeit der erhobenen Daten bewährt. Die Implementation eines neuen Übungsformats (Präsenzübungen) in den Fachvorlesungen sowie die Unterstützung der Studierenden im Bereich des selbstregulierten Lernens zeigen positive Effekte in einer erhöhten Teilnahmequote sowie Zufriedenheit der Studierenden mit der Veranstaltung, einem aktiveren Arbeitsverhalten sowie einer höheren Bestehensquote der Klausur. Ein messbar größerer Fachwissenserwerb konnte bisher noch nicht nachgewiesen werden. Auf Basis der Evidenzen konnten Stellschrauben für die Weiterentwicklung sowie für die Unterstützung der Lehrenden abgeleitet werden. Als Ansatzpunk für eine Weiterentwicklung des Vorkurses ist eine noch stärkere Kontextualisierung identifiziert worden. Für die Experimentalphysik A konnten anhand der Analyse der Lernstände sowie auf Basis der Wünsche der Lehrenden Ansätze zur Weiterentwicklung identifiziert werden.

5. Literaturverzeichnis

Bauer, A. B., Lahme, S., Woitkowski, D., Vogelsang, C. & Reinhold, P. (2019). PSΦ: Forschungsprogramm zur Studieneingangsphase im Physikstudium. PhyDid B – Didaktik der Physik – Beiträge zur DPG-Frühjahrstagung Aachen, 53–60.

Bernholt, S., Parchmann, I. & Commons, M. L. (2009). Kompetenzmodellierung zwischen Forschung und Unterrichtspraxis. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 15, 219–245.

Haak, I. (2017). Maßnahmen zur Unterstützung kognitiver und metakognitiver Prozesse in der Studieneingangsphase. Eine Design-Based-Research-Studie zum universitären Lernzentrum Physiktreff (Studien zum Physik- und Chemielernen, Bd. 217). Berlin: Logos.

Mandl, H. & Geier, B. (2004). Förderung selbstgesteuerten Lernens. In S. Blömeke, P. Reinhold, G. Tulodziecki & J. Wildt (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung (S. 567–578). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Neugebauer, M., Heublein, U. & Daniel, A. (2019). Studienabbruch in Deutschland. Ausmaß, Ursachen, Folgen, Präventionsmöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22 (5), 1025–1046. doi.org/10.1007/s11618-019-00904-1

Rabe, T. (2019). Identitätsaushandlungen zu Physik als Aspekt naturwissenschaftlicher (Grund)Bildung? In C. Maurer (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Bildung als Grundlage für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe (S. 25–38). Regensburg: Universität Regensburg.

Reinhold, P., Haak, I. & Bauer, A. B. (2018). Das Lernzentrum Physiktreff. In B. Riegraf, D. M. Meister, P. Reinhold, N. Schaper & T. T. Temps (Hrsg.), Heterogenität als Chance. Bilanz und Perspektiven des Qualitätspakt Lehre-Projekts an der Universität Paderborn (S. 78–81). Paderborn: Universität Paderborn.

Vogelsang, C.; Borowski, A.; Fischer, H. E.; Kulgemeyer, C.; Reinhold, P.; Riese, J.; Schecker, H. (2016). ProfiLe-P+ – Professionskompetenz im Lehramtsstudium Physik. In: Zlatkin-Troitschanskaia, O.; Pant, H. A.; Lautenbach, C.; Toepper, M. (Hrsg.): Kompetenzmodelle und Instrumente der Kompetenzerfassung im Hochschulsektor (KoKoHs Working Papers, 10). Johannes-Gutenberg-Universität, Humboldt-Universität: Mainz; Berlin, S. 39-43.

Woitkowski, D. (2018). Fachwissen und Problemlösen im Physikstudium: Vorstellung des Forschungsprojektes KEMΦ. In: PhyDid, 125-131.