Pa­der­bor­ner Phy­si­ker ent­wi­ckeln neu­es Hy­brid­ma­te­ri­al

Veröffentlichung in „Nature Chemistry“

Physiker*innen der Universität Paderborn ist es gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Münster, der Technischen Universität Berlin und der University of Rome Tor Vergata in Italien gelungen, ultradünne organische Schichten mit atomarer Präzision auf dem Halbleitermaterial Silizium aufzubringen. Damit kann die siliziumbasierte Halbleitertechnologie, die u. a. in der Mikroelektronik zum Einsatz kommt, um vielfältige Möglichkeiten ergänzt werden, etwa bei der Absorption und der Erzeugung von Licht oder für Sensoren. Der Durchbruch gelang durch die Kombination speziell präparierter Siliziumoberflächen mit kleinen reaktiven organischen Ringmolekülen, sogenannten N-heterozyklischen Carbenen. Das sind Moleküle mit einem zweiwertigen Kohlenstoff. Mithilfe des neuen Hybridmaterials könnten künftig z. B. effizientere Solarzellen hergestellt werden. Die Arbeit der Wissenschaftler*innen wurde jetzt in dem renommierten Fachmagazin „Nature Chemistry“ veröffentlicht.

Organische Elektronik hat dank leistungsfähiger Anwendungen wie flexiblen, kontrastreichen Displays, neuen Batterien oder Speichermedien den Massenmarkt erobert. Schichten aus organischen Molekülen bieten darüber hinaus auch ein großes Potenzial für eine effizientere regenerative Stromerzeugung. Allerdings bestehen Halbleiter in der Photovoltaik meist aus Silizium: „Die Erweiterung der hochentwickelten Siliziumtechnologie um die vielfältigen Anwendungen organischer Elektronik erfordert eine möglichst punktgenaue Verankerung organischer Moleküle auf der Siliziumoberfläche. Da jedoch sowohl die organischen Moleküle als auch die Siliziumoberflächen eine Vielzahl verschiedener Bindungsplätze besitzen, bestehen organische Schichten auf Silizium bisher in der Regel aus einem ungeordneten Gemisch unterschiedlich gebundener und unterschiedlich orientierter Moleküle. Diese Schichten enthalten dadurch zahlreiche Defekte, die den Elektronentransport durch die organisch-anorganischen Grenzflächen behindern und technische Anwendungen erschweren“, erklärt Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt, Lehrstuhlinhaber der „Theoretischen Materialphysik“ an der Universität Paderborn.  

Die Paderborner Physiker Dr. Hazem Aldahhak und Dr. Uwe Gerstmann aus der Arbeitsgruppe von Prof. Schmidt haben in Zusammenarbeit mit Chemiker*innen aus Münster und Physikern aus Berlin und Rom einen Weg gefunden, hochgeordnete und defektfreie organische Schichten auf Silizium aufzubringen. Dazu kombinierten sie speziell präparierte Siliziumoberflächen mit einer besonders vielseitigen Klasse von organischen Molekülen. „Durch das teilweise Ersetzen von vierwertigen Siliziumatomen durch dreiwertiges Bor unterhalb der Substratoberfläche konnte die Reaktivität der Oberfläche gezielt reduziert werden“, erklärt Schmidt. „Außerdem nutzen wir die spezielle Bindungskonfiguration von Carbenen“, ergänzt Dr. Aldahhak. „Carbene enthalten ein Kohlenstoffatom, das nur zwei statt der üblichen vier Bindungen enthält. Anstelle der ‚fehlenden‘ Bindungen besitzen sie ein Elektronenpaar, mit dem sie unmittelbar an die Oberfläche andocken und so eine perfekt geordnete molekulare Lage auf dem Halbleiter bilden“, so Aldahhak weiter. Die atomare Präzision bei der Bindung zwischen organischem und anorganischem Material führt zu Grenzflächen mit außergewöhnlicher Qualität, wie sie z. B. für Solarzellen mit einer hohen Quantenausbeute erforderlich ist.  

Zur Veröffentlichung: www.nature.com/articles/s41557-021-00721-2

Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt; Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse, Kommunikation und Marketing

Zur Pressemitteilung der Universität Münster: Neues Verfahren zur molekularen Funktionalisierung von Oberflächen (uni-muenster.de)

Abbildung (Dr. Hazem Aldahhak und Dr. Martin Franz): Vergleich der theoretisch berechneten Struktur (DFT, rechts) der geordneten NHC-Einzellage mit dem experimentellen Rastertunnelmikroskopie-Bild (STM, links). N: Stickstoff-, C: Kohlenstoff-, Si: Silizium-, B: Bor-Atom

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